„Für unsere Schüler*innen ist ChatGPT ein geniales Hilfsmittel“

Seit das Tool ChatGPT Ende letzten Jahres der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde, sehen viele Expert*innen darin auch eine Zäsur für den Bildungssektor. Die KI-basierten Technologien hätten das Potenzial zu revolutionieren, wie gelehrt und gelernt wird. Was bedeutet das neue Sprachmodell von Open AI für die Schulen des Kolping Schulwerks und ihre teils besondere Klientel? Jörg Neuhaus, Werkstattlehrer für Metalltechnik am Kolping-Berufskolleg Gütersloh, gehört zu den Kolleg*innen, die sich mit der KI-Anwendung und ihrem Einsatz in den Kolping-Schulen bereits vertraut gemacht haben.

Was ChatGPT für die Schulen des Kolping Schulwerks bedeutet, darüber spricht Jörg Neuhaus im Interview. Was ChatGPT für die Schulen des Kolping Schulwerks bedeutet, darüber spricht Jörg Neuhaus im Interview. Schulwerk: In welchem Umfang macht sich ChatGPT in Ihrem Schulalltag bemerkbar?

Jörg Neuhaus: Noch sehr wenig. In der gesamten Schule liegt der Einsatz im Moment noch unter zehn Prozent. Sowohl im Kollegium als auch bei den Schüler*innen ist noch nicht richtig angekommen, was ChatGPT alles kann, mit welchen Aufgaben man ChatGPT benutzen kann. Wir haben sehr spezielle Sprachförderschüler*innen und ein unglaublich breites Spektrum an Förderschwerpunkten. Diese Schülerklientel hat ChatGPT noch nicht erreicht.

Probleme mit klassischen Textaufgaben

Schulwerk: Was bedeutet ChatGPT für Ihre Schülerklientel?

Neuhaus: Was für den einen das Hörgerät und für den anderen die Brille ist, kann für unsere Schüler*innen ChatGPT sein. Unsere Schüler, sei es in der Sprachförderklasse als auch in der Abschlussklasse, haben große Schwierigkeiten zu schreiben und den richtigen Ausdruck zu finden, sprich mit den klassischen Textaufgaben. ChatGPT ist ein Hilfsmittel, eine neue Möglichkeit, dass sie sich gewählt ausdrücken können. Man kann ChatGPT auffordern, Aussagen auf einem hohen Sprachniveau formulieren zu lassen. Und die Diktierfunktion auf dem Handy ist eine unglaubliche Erleichterung für sie, um Anfragen an ChatGPT zu stellen. Noch eine Vereinfachung wäre es, wenn sie den Text nicht lesen müssten, sondern er vorgelesen werden würde. Aber das sind wahrscheinlich kleine Add-ons, die bald kommen werden. Dann ist das Verständnis noch besser, als wenn die Schüler*innen den Text lesen müssten, den ChatGPT ausgibt. Denn das fällt ihnen sehr schwer. Es kann eine Alltagshilfe für unsere Schüler*innen auch im privaten Bereich werden, wenn sie Formulierungen für Schriftverkehr oder Formulare brauchen. ChatGPT ist für unsere Schüler*innen ein Segen. Die, die es nutzen, finden es genial. Das ganze Potenzial von ChatGPT auszunutzen, schaffen unsere Schüler jedoch nicht.

Schulwerk: Welche Auswirkungen hat KI auf Eigenleistungen wie Hausaufgaben und andere Formate?

Neuhaus: Bei uns, bei den Werkstattlehrer*innen, hat das keine Auswirkungen. In meinem Bereich Metalltechnik gibt es keine Hausaufgaben. Generell gibt es bei uns relativ wenig Hausaufgaben. Aber ich kenne das aus anderen Bereichen, in denen KI genutzt wird, um Referate zu halten und Aufsätze zu schreiben. An Gymnasien und Realschulen sind Tricksereien größer als bei uns. Jetzt gibt es aber schon Programme, die zu 98 Prozent den Text erkennen, der von KI generiert wurde. Wenn ich als Lehrer einen sensationell formulierten Text bekomme, kann ich ihn fotografieren, einscannen und den KI-Gegenläufer drüber schauen lassen: Ist das per KI generiert oder von einem Schüler geschrieben worden? Lehrer*innen sollten Schüler*innen immer ein Stück voraus sein.

Schulwerk: Welchen Stellenwert nehmen KI-basierte Täuschungsversuche bei Ihnen ein?

Neuhaus: Ich weiß von einem einzigen Fall aus dem Deutschunterricht, wo der Verdacht besteht, dass der Text nicht von einer Schülerin stammt. Da kommt zum Tragen, dass wir eine besondere Schule sind und besondere Schüler haben. Ich glaube, bei uns an der Schule wären die Lehrer eher froh, wenn die Schüler so ein Werkzeug benutzen könnten.

Schulwerk: Müssen Sie Aufgabenformate neu entwickeln?

Neuhaus: Nein, noch nicht. Aber ich bin der Auffassung: ChatGPT wird bald sehr stark einschlagen. Es ist unaufhaltsam. Wir Lehrer müssen uns ganz stark darauf einstellen. Da wird man auch neue Wege entwickeln müssen. Die Antworten auf den Fragebogen, den wir zum Beispiel als Klassenarbeiten kennen oder den man den Schüler*innen mit nach Hause gibt, könnte ich auch nicht besser formulieren als ChatGPT.

„Ein tolles Werkzeug im Werkzeugkasten"

Schulwerk: Wie gehen Sie mit ChatGPT um?

Neuhaus: Ich finde, es ist ein tolles Werkzeug im Werkzeugkasten. Ich habe es mit einigen Schülern*innen an den iPads ausprobiert. Ich habe ein altes Aufgabenblatt genommen und die Schüler*innen herausfinden lassen, was ChatGPT alternativ für Antworten auswirft. Und ihnen auf diesem Wege gezeigt, wie die Software funktioniert. Man könnte es immer gut als Werkzeug einsetzen, wenn es darum geht, Aufsätze zu formulieren. Denn unsere Schüler*innen können keine Aufsätze schreiben. In der Schule ist der Einsatz aber ansonsten eher begrenzt. Anders wird das künftig aussehen mit KI in Richtung Bild- und Videobearbeitung. Diese wird noch Einsatzmöglichkeiten in der Schule bekommen. ChatGPT hingegen kann man auch gut einsetzen, um sich als Lehrer*in Arbeit abnehmen zu lassen.

Schulwerk: Wie nutzen Sie ChatGPT selbst für Unterrichtsvorbereitungen?

Neuhaus: Ich hatte ein sehr schönes Erlebnis. Ich habe ChatGPT aufgefordert: Schreibe mir ein pädagogisches Konzept, warum es wichtig ist, mit den Schülern Ausflüge zu unternehmen. Das spielt eine Rolle für den Antrag beim Schulträger auf Gelder für die Schulendtage. Und prompt war eine DIN-A4-Seite als pädagogisches Konzept fertig. Einmal drüber geschaut, sensationell. Das habe ich der Kollegin geschickt, die den Ausflug organisiert. Ihre Rückmeldung: Du hast mir gerade bestimmt zwei Stunden gespart, die ich heute Nachmittag da drangesessen hätte. Eine weitere Erleichterung bieten beispielsweise Anfragen an ChatGPT wie: Erstelle mir eine Klassenarbeit für die neunte Schulstufe mit zehn Aufgaben zum Dreisatz. Und privat hilft es auch. Ich habe einen vierjährigen Sohn und wenn mir keine Geschichte einfällt, dann frage ich abends nochmal ChatGPT: Erzähle mir eine Geschichte über einen Ritter. Man kann es 1:1 benutzen oder seinen individuellen Touch mitreinbringen. Ich würde nicht per se alles gutheißen, was da rauskommt, aber es ist eine schöne Richtlinie. Es macht das Leben ein kleines Stück einfacher. Ich finde, die Lehrer sollten da auf jeden Fall drauf eingehen, es sollte Fortbildungen geben, es sollte mehr darüber gesprochen werden.