„Ich werde gesehen und gehört“

Kinder erleben demokratische Prozesse im Kita-Alltag

Was wird nächste Woche in unserer Gruppe Besonderes gemacht? Für wen möchten wir Spenden sammeln? Welche Herbstdeko soll das Fenster zieren? Welches Spielzeug wünschen wir uns? Die Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung sind vielfältig – auch schon in der Kita. Nicht nur in den Kinderkonferenzen. Jeden Tag ergeben sich vielfältige Situationen, in denen Demokratiekompetenzen eine Rolle spielen, sagt Kathrin Kretschmer, Leiterin der Kindertageseinrichtung Springbach Höfe in Paderborn. Konfliktlösungen, Verantwortungsbewusstsein, Auseinandersetzung mit anderen Meinungen und Geschmäckern, sich für andere einsetzen, Kompromisse, Partizipation – der Kita-Alltag ist gespickt mit demokratischen Herausforderungen. Unabhängig von konkreten Projekten wird in Kitas täglich in vielen, vermeintlich unscheinbaren Situationen Demokratieerziehung geleistet.

Ein grünes Plakat mit handgeschriebenem Text in Deutsch und Englisch, auf dem ein rotes Stoppschild, ein "NEIN SAGEN"-Schild und ein "STOP"-Schild abgebildet sind, hängt an einer weißen Wand. In der Kindertageseinrichtung Springbach Höfe wird viel mit Bildern gearbeitet, um die Kinder demokratisch zu erziehen.

„Du bist nicht mehr mein Freund“ – das hören Kathrin Kretschmer und ihre Kolleg*innen im Kitaalltag oft. Der Anlass zur Aufkündigung der Freundschaft? Da reicht schon ein T-Shirt in der falschen Farbe oder eines ohne Glitzer, das man „blöd findet“. „Ich kann andere Interessen haben oder andere Dinge schön finden und trotzdem dein Freund sein“, vermitteln Kathrin Kretschmer und ihr Team in diesen „Krisensituationen“. Zu lernen, Konflikte konstruktiv zu lösen und andere Ansichten zu respektieren, ist ein zentraler Aspekt der Demokratieerziehung.

Kinderkonferenz tagt situativ

Anlässe wie das soziale Miteinander oder Regeln im Umgang mit Spielzeug ruft die reguläre Kinderkonferenz auf den Plan. Diese tagt in den Springbach Höfen nicht zu festgesetzten Terminen, sondern nach Bedarf. „Und bei 80 Kindern in der Kita entstehen immer wieder solche Situationen“, sagt Kathrin Kretschmer. Runtergebrochen wird die jeweilige Situation für die jüngsten Kinder beispielsweise mit einem Puppenspiel. Mit Puppen wird vorgespielt, was passiert ist und wie sich die Puppe in der Situation fühlt. „Was können wir tun? Wie gehen wir miteinander um?“ reflektieren die Kinder dann gemeinsam. Je nach Entwicklungsstand wird auch viel mit Bildern und Büchern gearbeitet oder mit einem Vertrag, der mit einem Fingerabdruck unterschrieben wird. „Das hilft mehr, als wenn man nur drüber spricht“, berichtet Kathrin Kretschmer. Die Erzieher*innen greifen Dinge dynamisch und anschaulich auf und bringen ihre eigenen Erfahrungen ins Spiel, um zu signalisieren: Ich verstehe, was du meinst. Ich kenne das auch. Doch nur steter Tropfen höhlt den Stein. Sind die Kinder wieder ins Spielen vertieft, ist manches schnell wieder vergessen. „Die Wiederholung macht’s“, betont Kathrin Kretschmer.

Natürlich dreht es sich in den Kinderkonferenzen auch traditionell um Mitbestimmung. „Wir geben den Kindern bewusst eine Stimme“, sagt die Kitaleiterin. Abstimmen können die Mädchen und Jungen zum Beispiel über künftige Projekte oder darüber, welche Spielzeuge angeschafft werden sollen. „Wir versuchen, dass alle Kinder gehört werden. Nicht nur der Lauteste hat recht“, unterstreicht Kathrin Kretschmer. Wer sich nicht traut, etwas zu sagen, wird von den Erzieher*innen ermuntert, seine Meinung mitzuteilen. Das hat nicht nur positive Effekte auf die Selbstwirksamkeit der Kinder, wenn sie bemerken: „Ich werde gesehen und gehört und meine Meinung ist wichtig.“ Das schafft auch Verbindlichkeiten, die Entscheidungen mitzutragen.

In einer Kinderkonferenz entstand auch die Idee, die Kinder mehr in die Alltagsaufgaben einzubinden. Seitdem wird in der Schmetterlingsgruppe täglich Demokratie praktiziert. Jeden Tag ist im Rahmen der Aktion „helfende Hände“ ein Kind in der Verantwortung, sich für andere – ein kleineres Kind oder die Gemeinschaft – bei einer Aktivität einzubringen. Dazu zählt, die Trinkpause anzusagen, den Essensgong zu läuten, den Tischspruch auszusuchen und den Tisch für alle Kinder im Kitacafé einzudecken. Auf einer Namensliste erkennen die Kinder, wer dran ist, und bekommen vor Augen geführt, dass gerechterweise jedes Kind einmal an die Reihe kommt. Welche Aufgabe jeweils ansteht, geben die Fachkräfte vor. Die Kinder können aber mitbestimmen über besondere Aktionstage wie den Pyjamatag oder den Spielzeugtag sowie bei Ausflügen. Sie können Lieder- und Spielwünsche im täglichen Morgenkreis äußern und haben Mitspracherecht bei den Anschaffungen durch die „Wunscherfüllungen“ durch den Elternbeirat.

Probleme mit der Frusttoleranz

„Wir nehmen die Kinder aktiv mit in Entscheidungen, die allgemein den Alltag begleiten“, erklärt Kathrin Kretschmer. „Wir als pädagogisch ausgebildete Fachkräfte setzen den Rahmen, aber in diesem Rahmen ist die Mitbestimmung hoch.“ Ihre Grenzen hat die kindliche Einflussnahme zum Beispiel jedoch beim Speiseplan. „Sonst würde es jeden Tag Nudeln geben“, sagt Kathrin Kretschmer mit einem Augenzwinkern.

Niederlagen auszuhalten, wenn der eigene Wunsch nicht berücksichtig wurde, fällt Kindern derweil oft schwerer als Erwachsenen. Der Hinweis, dass die nächste Abstimmung wieder zu ihren Gunsten ausgehen kann, ist für Kinder nicht greifbar, sondern noch in weiter Ferne. Gute und prompte Reaktionen sind seitens des Erzieherteams gefragt. Auch weil Kinder ihren Verdruss ungehemmt rauslassen. „Im Gegensatz zu Erwachsenen, die sich innerlich aufregen, ihren Ärger aber nicht aussprechen. Kinder sind authentisch und können sich nicht verstellen“, beschreibt die Kitaleiterin die besonderen Herausforderungen der Demokratieerziehung von Kitakindern.

„Diese ist im Verlauf der vergangenen Jahre schwieriger geworden“, sagt Kathrin Kretschmer. Zum einen durch die Erziehung: Entweder haben die Kinder Helikoptereltern oder das Gegenteil, U-Boot-Eltern, die ihren Kindern viel Freiraum lassen. „Den goldenen Mittelweg gibt es zunehmend weniger“, sagt die Kitaleiterin. Dazu kommt, dass die Handy- und TV-Zeiten der Kinder zunehmen, in denen viele keine Begleitung erfahren und daher auch nicht altersgemäße Inhalte konsumieren. Das macht sich in der Kita bemerkbar, etwa wenn ein Kind Horrorfilme gesehen hat und mit seinen Erzählungen wiederum andere Kinder verstört. „Kinder sind mehr sich selbstüberlassen und fragwürdigen Einflüssen von außen ausgesetzt“, fasst die Kitaleiterin zusammen. Umso wichtiger ist der Auftrag, die Kinder in der Kita auf das Zusammenleben in einer vielfältigen, demokratischen Gesellschaft vorzubereiten.