Unzählige kleine Impulse und Situationen

Kita-Alltag ist ein Kaleidoskop demokratischer Erfahrungen

So wie Politiker*innen im Parlament über kontroverse Themen streiten, wird auch in der Kita gestritten – über Spielideen. In beiden Fällen müssen Lösungen gefunden, Kompromisse geschlossen, andere Meinungen angehört werden. „In vielen kleinen Situationen, die auf den ersten Blick unscheinbar wirken, wird in der Kita ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung von Mitbestimmung, Verantwortung und sozialem Miteinander geleistet“, sagt Jana Falk, Leiterin der Kolping Kindertageseinrichtung Auguste in Bad Lippspringe. Eltern sei oft nicht bewusst, wie sehr demokratisches Handeln den Kita-Alltag prägt – auch außerhalb von Kinderparlamenten. „Demokratie ist kein pädagogisches Angebot, sondern spiegelt sich täglich in unzähligen kleinen Impulsen und Haltungen im Kita-Alltag wider“, betont Jana Falk.

Ein Kind sitzt auf einem grünen Teppich, im Arm ein Stofftier und vor sich ein aufgeschlagenes Bilderbuch. Mithilfe von Abstimmungshilfen klappen demokratische Entscheidungsprozesse auch schon in der Kita.

In vielen Situationen werden Entscheidungen gemeinsam getroffen – sei es bei der Frage, welches Spiel im Morgenkreis gespielt wird, ob es nach draußen oder in den Bewegungsraum geht oder wie Materialien im Gruppenraum genutzt werden. Die Kinder lernen so, dass ihre Meinung zählt und erleben, was es bedeutet, Kompromisse einzugehen und gemeinsame Lösungen zu finden. „Kinderparlamente sind nur ein kleiner Teil der Demokratiebildung“, erklärt Jana Falk. „Partizipation und Demokratie können auch ohne sie umgesetzt werden, denn Kinder erleben demokratische Prozesse ganz selbstverständlich im Alltag.“

Kinder gestalten ihre Nebenräume selbst um

Zur demokratischen Spielwiese werden beispielsweise in regelmäßigen Abständen die an die Gruppenräume angeschlossenen Nebenräume. An welchen Schwerpunkten sie ausgerichtet sind, orientiert sich an den aktuellen Bedürfnissen und Interessen der Kinder. Die kleinen Nutznießer*innen gestalten die Räumlichkeiten bei Bedarf selbst um. So verwandelte sich der Nebenraum einer U3-Gruppe kürzlich von einem Rollenspielraum mit Kinderküche in eine Umgebung, in der die Kinder ihrem Bewegungsdrang nachgehen können. In ihren Diskussionsrunden entschieden die Kinder, welche Materialien aus der Turnhalle einziehen sollten und was stattdessen weichen sollte.

Gleiches gilt für die Spielmaterialien in den Gruppenräumen. Haben sie für den Moment ausgedient, werden die Gruppenräume mit neuen Spielen aus dem „Spielelager“ bestückt – über den Spielzeugtausch stimmen die Kinder ab. „Selbst bei der Einteilung von Spielbereichen oder bei der Wahl von Spielpartner*innen im Freispiel werden Interessen ausgehandelt und gemeinsam Lösungen gefunden“, beschreibt die Leiterin der Kita Auguste. 

Zur Unterstützung der kindlichen Mitbestimmung werden verschiedene einfache und übersichtliche Methoden eingesetzt, die den Kindern helfen, ihre Interessen sichtbar zu machen und Entscheidungen zu treffen. Eine bewährte Möglichkeit ist die Abstimmung mit Wäscheklammern: Dabei können die Kinder im Morgenkreis aus einer begrenzten Auswahl ihre Favoriten wählen, indem sie ihre Klammer an das entsprechende Bild oder Buch heften.

Mittelmaß zwischen Lenkung und Mitbestimmung

Nicht immer haben die Kinder sofort eine Lösung parat, was sie brauchen. Veränderungen brauchen zuweilen Zeit. „Aber durch Langeweile entsteht Kreativität“, sagt Jana Falk. Diese Prozesse bedürfen Geduld, Ausdauer und das Vertrauen in die kindliche Entwicklung seitens des Erzieherteams. Eine ihrer größten Herausforderungen in der Demokratieerziehung ist es, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Wo müssen die Fachkräfte lenken? Je nach Erziehungs- und Entwicklungsstand brauchen manche Kinder noch die helfende Hand der Erzieher*innen. „Wir dürfen uns selbst nicht in der Erwartungshaltung verlieren, dass Kinder immer mitbestimmen müssen“, betont Jana Falk. Die Kinder müssen ihrerseits lernen, dass es Strukturen und Regeln gibt, im Rahmen dessen nicht alles geht.

Gelebte Demokratie ist indes auch nicht immer bequem oder für Außenstehende auf den ersten Blick einleuchtend. So wollte eine Erzieherin kürzlich mit den Kindern nach draußen, wie im Nachmittagsbereich üblich. Doch von den Kindern kam der ausdrückliche Impuls, zum Turnen in den Bewegungsraum zu gehen. „Der Wunsch war so deutlich und gemeinschaftlich geäußert, dass sich das Team entschied, darauf einzugehen – trotz strahlenden Sonnenscheins“, berichtet Jana Falk. „Im ersten Moment waren einige Eltern irritiert, weil wir bei Wind und Wetter draußen sind – und ausgerechnet bei so schönem Wetter drinnen geblieben sind“, erzählt Jana Falk. „Aber genau darin zeigt sich unser Verständnis von Beteiligung: Wir nehmen die Impulse der Kinder ernst – ganz gleich, ob sie laut geäußert, im Spiel sichtbar oder eher leise formuliert werden. Wenn es pädagogisch vertretbar ist, greifen wir diese auf und machen sie zum Ausgangspunkt für gemeinsames Handeln.“ Für das Team immer ein guter Anlass, ins Gespräch zu kommen: Warum hat sich die Gruppe so entschieden? Wie erleben Kinder Mitbestimmung?

„Gerade solche Rückfragen sind eine gute Gelegenheit, unsere pädagogische Haltung zu erklären und transparent zu machen, wie kindliche Beteiligung in unserem Alltag aussieht.“