„Eingeschlagen wie eine Bombe“

„Start-off“ findet zusammen mit schulmüden Jugendlichen neue Perspektiven

Der Funke ist übergesprungen. Das, was sich das Kolping-Gutshof-Team von der Start-off-Maßnahme in Großeneder erhofft hat, wurde noch übertroffen. Gestartet war man zum Schuljahresanfang 2022/2023 mit vier schulmüden Jugendlichen, inzwischen verbringen zwölf junge Menschen ihre Tage an dem außerschulischen Lernort mit tiergestützten und werkpädagogischen Schwerpunkten. „Es ist beeindruckend, was die Jugendlichen leisten: Nicht nur körperlich und wie sie sich einbringen, sondern auch, dass sie pünktlich erscheinen, teilweise länger bleiben, traurig sind, wenn Ferien sind“,  zieht Carolin Amthor-Bröker, Start-off-Koordinatorin, eine erste Bilanz des Projektes, das nach den Sommerferien seine Fortsetzung findet und einen erfolgreichen Weg gefunden hat, Jugendlichen, die schon abgeschrieben waren, auf dem Hof neue Perspektiven zu eröffnen. „Es ist toll zu sehen, wie sie wachsen, reifer werden und aufblühen“, freut sich die Sozialpädagogin und Schulsozialarbeiterin über eine ganze Reihe an Erfolgserlebnissen.

Die Jugendlichen verbringen ihre Tage an dem außerschulischen Lernort mit tiergestützten und werkpädagogischen Schwerpunkten. „Eingeschlagen wie eine Bombe“ hat das Hofjahr bei C. Ihr bisheriger Lebenslauf war geprägt von einer zweieinhalbjährigen Schulabstinenz und zahlreichen Sozialstunden. Auf dem Bauernhof hat sie ihr Interesse für Pferde entdeckt und möchte eine Ausbildung als Pferdewirtin machen. Jetzt nach ihrem Hofjahr nimmt sie an einer Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (BVB) teil. Auch S. weiß inzwischen, was sie will: Bei der Bezirksregierung Detmold hatte sie sich für eine externe Schulabschlussprüfung angemeldet und bestanden. Mit dem Realschulabschluss in der Tasche möchte sie ihren Wunsch, Tierpflegerin zu werden, Wirklichkeit werden lassen. A. verlässt den Gutshof in Großeneder ebenso mit einer beruflichen Perspektive: Im Hotel Aspethera in Paderborn möchte er im Hotelmetier Fuß fassen. Währenddessen hat J. nach seinem Praktikum auf einem Ziegenhof eine Assistenzausbildung in der Landwirtschaft in Aussicht.

Die Arbeit mit den Tieren ist das Herzstück

Was diese Erfolgsgeschichten möglich gemacht hat? Carolin Amthor-Bröker sieht in den folgenden Aspekten die drei größten Stärken des Projekts: Die Arbeit mit den Tieren ist durchweg für alle Teilnehmenden etwas Besonderes. „Weil ich angenommen werde, so wie ich bin. Ich wertgeschätzt werde durch die Zuneigung der Tiere und durch das, was ich geben kann“, erklärt die Projektkoordinatorin den großen Benefit der tiergestützten Pädagogik. Auch von dem multiprofessionellen Team fühlen sich die Jugendlichen angenommen. „Sie haben hier einen Ort gefunden, wo Menschen sind, denen sie Vertrauen schenken können und auf die sie sich verlassen können“, hebt die Sozialpädagogin eine weitere Stärke des Bildungsortes hervor. „So bunt wie die Gruppe ist, so bunt gehen wir auch auf die Jugendlichen ein.“ Den nötigen Freiraum und Halt gibt es vom Träger, der Kolping Schulwerk gGmbH, damit das Team vor Ort seine Devise leben kann: „Geht nicht, gibt es nicht.“ Und somit für die Schützlinge individuelle Lösungsstrategien entwickeln kann – das dritte Kriterium für das Start-off-Erfolgsrezept. „Man muss flexibel sein. Mit starren Systemen sind alle gescheitert“, unterstreicht Carolin Amthor-Bröker und freut sich, dass bereits eine neue Idee auf dem Gutshof Realität wurde: das Hühnerprojekt.

Offen ist das Hof-Team auch für Optimierungen. Wo sind noch kleine Baustellen? Was wünschen sich die Jugendlichen? Mit diesen Fragen möchte man in die Evaluierungsphase des Projektes eintreten. Bei der Planung des Wochenendeinkaufs und der eigenen Lebensmittelzubereitung ist beispielsweise noch ein bisschen Luft nach oben. Hier wünschen sich die Jugendlichen, noch mehr ins Boot geholt zu werden. Nachjustieren möchte das Start-off-Team auch noch etwas in puncto Unterricht, um das Lernen noch projekthafter zu gestalten. Geplant ist künftig auch, den Jugendlichen mit „Deeskalationsstrategien“ ein weiteres Zusatzangebot zu machen. Schon jetzt, am Ende des Schuljahres, legte man den Schwerpunkt auf das Thema Lebenspraxis, um die jungen Menschen mit Fragestellungen rund um finanzielle Aspekte, die eigene Wohnung und die eigene Gesundheitsvorsorge auf das Leben nach dem Hofjahr vorzubereiten.

Und da die Kandidat*innen für das Start-off-Projekt unterjährig aufgenommen werden, wird ein Teil der Jugendlichen, die im Verlauf der Maßnahme erst später dazugestoßen waren, mit ins neue Schuljahr gehen. Das Team um Carolin Amthor-Bröker wird nach den Sommerferien mit einer vollen Maßnahme starten und sich um zwölf schulmüde Jugendliche kümmern.

Ihr größter Wunsch für die Neuauflage der Start-off-Maßnahme im neuen Schuljahr: „Dass die gemeinsame Vision und der Teamgeist weitergelebt werden. Und wir dabei das Erfrischende und die Lebendigkeit erhalten, mit der wir uns auf die Jugendlichen einstellen und das Neue leben.“

Auch die Jugendlichen zogen zum Ende des Schuljahrs Bilanz:

Was hat sich für dich durch das Hofjahr verändert?

„Ich bin geduldig geworden durch die Arbeit mit den Tieren.“

„Durch das Hofjahr hat sich alles verändert. Vorher bin ich gefühlt nicht aus dem Bett gekommen, war nicht motiviert etwas zu tun. Jetzt habe ich ungefähr einen Plan, was ich machen möchte. Auf jeden Fall etwas mit Tieren.“

„Ich habe viele neue Dinge kennengelernt, ich werde vieles davon mitnehmen, auch Sachen, die ich mich vorher nicht getraut habe.“

„Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen und habe mein Leben besser in den Griff bekommen.“

Was hat dir am meisten geholfen?

„Der Unterricht war sehr einfach und angenehm. Man konnte sich an sein eigenes Tempo halten und musste sich nicht den anderen anpassen.“

„Ihr seid so tolle Menschen, ich bin einfach für alles dankbar, ihr seid immer für einen da, ihr helft, wo ihr nur könnt.“

„Dass man sich wohlfühlt und bei den Menschen ankommt.“

„Ich bin nicht mehr so gestresst, weil man gute Noten haben muss. Es ist viel leichter über Sachen zu reden, wenn man etwas nicht versteht. Es ist offener.“

„Man hat viele Freunde gefunden und es harmoniert super.“

Welche Erinnerungen nimmst du mit?

„Mein schönster Moment war die Anfangszeit: Wir haben viel draußen gemacht, viel gebaut und viel mit den Tieren gelernt.“

Das Bauen von Hühnerstall, Wikingerschach, Sandkasten für die Pferde, Vogelhäusern und Hochbeet, Schafschur, Raps pflücken, Experimente und vieles mehr

„Wir haben viel über Tiere gelernt und über deren Körpersprache.“

Freudenmomente: die Geburt des Lämmchens Grace, der Einzug von Toffifee, gemeinsame Spaziergänge, Ausritte, Ausflüge, Skip Bo spielen auf dem Heuboden

Traurige Momente: der Tod von Luna und den Kaninchen, Abschied von Ruby

„Wir waren ein sehr starkes Team, ich habe jeden Moment zu schätzen gewusst.“

Was wünscht du dir für die Zukunft?

„Dass ich eine Ausbildung finde, die mir gefällt.“

„Dass ich den Schulabschluss schaffe.“

„Ein gutes Praktikum.“

„Ich will hier gar nicht weg. Ich bin daran gewöhnt hier zu sein. Ich komme gerne hier hin.“