Pilotprojekt am Kolping Berufskolleg Paderborn

Lernende werden in ihrer demokratischen Meinungsbildung geschult

„Ich bin frei, aber ich darf keinen Stress machen“ – Die Quintessenz aus der Gruppenarbeit zeigte: Die Botschaft ist angekommen. Die Schüler*innen haben die ersten Eckpfeiler der Demokratie verstanden. „Demokratie wagen und demokratische Meinungsbildung“ lautet der Titel eines Pilotprojekts am Kolping Berufskolleg Paderborn. Anlass der mehrtägigen Reihe war der Hamas-Israel-Konflikt. Der Versuch, das Thema im regulären Unterricht aufzugreifen, scheiterte. Emotional aufgeladen und wegen der Sprachbarrieren in den internationalen Klassen in seiner Komplexität nicht aufzuarbeiten – die Erfahrung machte das gesamte Kollegium. Viel Energie steckte Lehrerin Sabine Ipsen-Peitzmeier daraufhin in die Konzeption des mehrteiligen Seminars und holte sich mit zwei Dolmetschern hochkarätige Demokratie-Botschafter ins Haus.

Engagierten sich gemeinsam, um die Schüler*innen des Kolping Berufskollegs Paderborn in ihrem Demokratieverständnis zu schulen (von links): Oksana Lang, Nicolas Trompeter, Dolmetscher Abdul Ghafar Sahak, Sabine Ipsen-Peitzmeier, Dolmetscher Hussien Khedr und die kommissarische Schulleiterin Maren Meli. Engagierten sich gemeinsam, um die Schüler*innen des Kolping Berufskollegs Paderborn in ihrem Demokratieverständnis zu schulen (von links): Oksana Lang, Nicolas Trompeter, Dolmetscher Abdul Ghafar Sahak, Sabine Ipsen-Peitzmeier, Dolmetscher Hussien Khedr und die kommissarische Schulleiterin Maren Meli. Foto: Jana Sudhoff „Wir sind für die Erziehung zu Demokratie verantwortlich, das ist eines der wichtigsten Themen für Schulen“, betont Projektinitiatorin Sabine Ipsen-Peitzmeier. Daher nahmen sie und ihr Team den Konflikt in Nahost zum Anlass, um den Lernenden ein zentrales Lernziel zu vermitteln: Das Zusammenleben in Deutschland darf darunter nicht leiden. Wir müssen das Zusammenleben in Deutschland gemeinsam so gestalten – egal woher wir kommen und welche Muttersprachen und Religionen wir mitbringen –, dass die Würde des Einzelnen nicht verletzt wird. „Es ist der Versuch, sich dem Hauptthema auf andere Weise zu nähern“, schildert Sabine Ipsen-Peitzmeier. Wichtig ist ihr, dass die Schüler*innen lernen, dass wir nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten in einer Demokratie haben.

In drei Themenblöcken an mehreren Tagen sollen die Schüler*innen dafür sensibilisiert werden: Mit dem Seminar „Demokratische Werte und Grundrechte – Mein Leben in Deutschland“ machte das Kolping-Kollegium Mitte Dezember den Auftakt. „Konfliktanalyse und Konfliktbewältigung“ sowie „Fake News – der kritische Umgang mit Medien“ werden zu einem späteren Zeitpunkt folgen.

Dolmetscher kommen bei den Lernenden gut an

Unterstützung hatte die Schule durch zwei ehrenamtliche Dolmetscher, die in arabischer Sprache beziehungsweise in Pashtu und Dari übersetzten und die Schüler*innen in ihren Gruppenarbeiten und Diskussionen begleiteten. Hussien Khedr, Vorsitzender des Integrationsrats der Gemeinde Hiddenhausen und politisch auf Bundes- und Landesebene engagiert, berichtete, wie die Revolution 2011 in Ägypten ihn gezwungen hatte, seine Heimat zu verlassen. Abdul Ghafar Sahak, in seiner Funktion als Vorsitzender der Schura Paderborn Preisträger des Integrationspreises der Stadt Paderborn, verließ Afghanistan nach dem Einmarsch der Russen vor 37 Jahren. Beide schilderten bereits in ihrer Begrüßung, welch hohen Stellenwert sie den demokratischen Werten beimessen und wie sie in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit multikulturelle und interreligiöse Kontakte pflegen. Beide kamen in der Lerngruppe gut an. Als Vertreter ihrer eigenen Kultur und Sprachfamilie schafften sie es, mit den Schüler*innen ganz anders ins Gespräch zu kommen. „Sie sind für die Lernenden glaubwürdig“, hob Oksana Lang, Lehrerin in den internationalen Klassen, einen Vorteil hervor. Vor Seminarstart hatte die Schüler*innen die Sorge umtrieben, die Unterrichtsreihe habe eine missionarische Motivation. Diese Angst hatten die Dolmetscher schnell zerstreut. „Die Diskussionen und Interaktionen waren sehr lebendig“, freute sich die Schulleiterin Maren Meli über das Ergebnis.

Wiederholung geplant

So tauschten sich die Schüler*innen zu Beginn darüber aus, aus welchen Gründen sie nach Deutschland gekommen waren und was sie bisher unter Demokratie verstanden haben. Angefüttert durch Lernkarten setzten sie sich im Folgenden mit den Eckpfeilern der Demokratie auseinander und lernten das Grundgesetz als Rahmen unseres Miteinanders sowie insbesondere Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ kennen. Drei kleine Filmsequenzen führten ihnen anschließend Beispiele von Rassismus, Antisemitismus und sexistischem Verhalten vor Augen. „Die Würde und Rechte des anderen sind zu achten und zu respektieren. Jede Missachtung dieser Pflicht verstößt gegen das Gesetz und wird bestraft“, fasste Sabine Ipsen-Peitzmeier die Erkenntnisse der Schüler*innen zusammen. Übertragen auf den Hamas-Israel-Konflikt: „Ich darf mich gegen Netanjahus Politik aussprechen und gegen sie protestieren, aber ich darf Menschen nicht beschimpfen, keine Davidsterne zerstören und es darf unser Zusammenleben nicht beeinflussen“, fasste Sabine Ipsen-Peitzmeier zusammen, die selbst die dritte Schülergruppe – aus dem Irak, dem Kosovo und einigen afrikanischen Ländern – in englischer und französischer Sprache begleitet hatte. Die Schüler*innen aus dem muslimischen Kontext waren mit dem Pilotprojekt am Kolping Berufskolleg Paderborn gestartet, das Herkunftsländer-spezifisch organisiert ist. Für die Lernenden aus der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern wird bald ein ähnlicher Komplex konzipiert.

Und das mit Sicherheit nicht zum letzten Mal, wie Maren Meli als Fazit nach der Auftaktveranstaltung zog: „Es ist wichtig, dass wir das machen. Politische Bildung hat einen hohen Stellenwert.“ Auch für die Lehrerschaft hatte die Projektsequenz bisher schon einen Lerneffekt: „Es war gut, dass sich die Schüler*innen losgelöst von normalen Lerninhalten austauschen und ohne Bewertung ihr persönliches Schicksal thematisieren konnten. Dadurch lernen auch wir, sie besser zu verstehen.“