Tiergestützte Arbeit auf breitere Füße stellen
Gutshofteam arbeitet gemeinsam an neuem Konzept
Das Hofteam auf dem Kolping Gutshof in Großeneder verliebt sich gerade in die tiergestützte Arbeit. Der Baustein, der den besonderen Charme des außerschulischen Lernorts mitprägt, wird derzeit auf neue, breitere Füße gestellt. In Zuge dessen wird das gesamte pädagogische Team mit einbezogen. Angeleitet durch Mareike Gördemann vertiefen sich die Mitarbeitenden in ihr neues Betätigungsfeld. Alle zusammen lernen sie, wie tiergestützte Intervention effektiv und tierartgerecht gestaltet werden kann und wie Tiere und Jugendliche optimal zusammenwirken können. In ihrer Funktion als pädagogische Beraterin macht Mareike Gördemann alle dafür mit den Grundlagen der artgerechten Haltung, den Trainingselementen und Einsatzmöglichkeiten vertraut – Tierart für Tierart. Gemeinsam wagten sie jüngst ein neues Abenteuer: die Schafschur.
Schafschur, Kuscheleinheiten und Training mit den Schafen im Paddock – an der tiergestützten Arbeit hat das ganze Team auf dem Kolping Gutshof seine Freude.
Wie bewege ich ein Schaf dazu, sich auf den Po zu setzen? Wie klemme ich es geschickt zwischen die Beine, um die Hände für die Schermaschine frei zu haben? Der Gedanke dahinter, die Schafe ab jetzt selbst zu scheren: Oberste Priorität hat bei allem das Wohl der Tiere. „Idealerweise sollte jemand Hand anlegen, den die Schafe kennen und dem sie vertrauen“, erklärt Mareike Gördemann mit Blick darauf, die Tiere möglichst wenig Stress auszusetzen. Für den großen Tag hatten sich die Schafschuraspirant*innen professionelle Anleitung und Beratung von extern geholt: Wann muss die Schermaschine geölt, wann das Messer getauscht werden? Wie fühlt es sich richtig an, wenn die Schermaschine butterweich durchs Wollfett gleitet? Auf welche Sicherheitsmaßnahmen ist zu achten? Das Fazit nach der Premiere: „Schafe sind ganz schön schwer, wenn sie auf dem Rücken liegen bzw. auf dem Hintern sitzen und meine Arme sind zum Scheren zu kurz“, verrät Mareike Gördemann augenzwinkernd.
Tägliche Reflexion der Trainingseinheiten
Spannend war nicht nur zu sehen, wie man sich als Schafscherer*in schlägt. Die eigenständige Schur ist auch ein Mehrgewinn für die Beziehungsarbeit. „Durch das Scheren lernt man die Tiere und ihre Bedürfnisse noch einmal besser kennen“, erklärt Mareike Gördemann, die die entsprechende Erlaubnis für den sozialen Einsatz von unterschiedlichen Tierarten durch Nachweis von Sachkunde nach Paragraph 11 Tierschutzgesetz besitzt.
Ein Gespür für die Charaktere entwickeln die Hofmitarbeitenden auch bei den Trainingseinheiten, für die im Team vorab ein Trainingsplan mit Endzielen und differenzierten Teilzielen erarbeitet wurde. Die Fortschritte werden täglich im Trainingstagebuch dokumentiert, um die Arbeit fundiert reflektieren zu können. Nicht jedes Tier ist für jede pädagogische Maßnahme geeignet. „Auch die Jugendlichen fungieren als Trainer*innen. Das schult ihre Beobachtungsgabe“, erklärt Carolin Amthor-Bröker, Projektleiterin auf dem Gutshof.
Fokus auf Teamarbeit
Welches Schaf ist menschenaffin? In welcher Konstellation fühlen sich die Schafe am sichersten? Interessante Fragen für die Vertrauens- und Kommunikationsförderung. Dann klappt es auch, die Schafe auf die Weide zu locken, um sie dort stressfrei voneinander zu trennen und mit einzelnen Tieren ruhig auf dem Paddock zu arbeiten. Während sich Merlin entspannt durch den Hufparcours führen und mit den verschiedenen Untergründen wie Mulch, Rinde und Rasen vertraut machen lässt, braucht er noch etwas Zuspruch, um danach aufs Podest zu steigen. „Ermutige ihn und halte ihn ein bisschen weg, damit er auch hoch muss“, gibt Mareike Gördemann den Start-off-Jugendlichen Tipps, wie sie die Schafe noch besser für ihre Aufgaben motivieren können. Diese sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Gesunderhaltung. Koordination, Muskelaufbau und Gleichgewichtstraining: Der Tritt aufs Podest kommt den Schafen in mehrfacher Hinsicht zugute. „Tiere können nur etwas geben, wenn es ihnen selbst möglichst gut geht“, betont Mareike Gördemann die Relevanz des Tierwohls.
Rund 20 Minuten nimmt das Training mit den Tieren täglich ein, dafür hat das Hofteam die Bewegungspausen und Stalldienste neu konzipiert. Eingebunden sind neben den Start-off-Jugendlichen die Teilnehmenden aus der „Take-off“-Maßnahme. Fleißig werkeln sie in der Werkstatt, um den Hühnern im Gehege eine anregende Umgebung zu schaffen. Mit den aufgestellten Zweigen und selbstgefertigten Sitzstangen sieht’s schon richtig gemütlich aus.
„Alle, die am Hof arbeiten, müssen Verantwortung für die Tiere übernehmen, um Gesundheitszustände überprüfen, artgerecht füttern und pflegen zu können. Das kann nur gelingen, wenn alle an Prozessen rund um die Tiere beteiligt werden und wissen, wie man sie trainiert, wie man sie pädagogisch zielorientiert einsetzen und wie die Haltung noch artgerechter werden kann“, sagt Mareike Gördemann über die Neuausrichtung der tiergestützten Arbeit. Wichtig ist ihr auch, dass alle mitbestimmen dürfen, welche weiteren Tiere angeschafft werden. „Idealerweise sind einzelne Mitarbeitende Expert*innen für unterschiedliche Tierarten.“
Einblicke in die tiergestützte Arbeit gibt es aus erster Hand beim Hoffest am Sonntag, 21. September, ab 11 Uhr auf dem Kolping Gutshof.